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Im Reich der Viertausender

Grindelwald, 08. – 11.04.2015

Titel Berner Oberland Ausgepowert und erschöpft sitze ich in der Finsteraarhornhütte. Ungefähr 13 Stunden vorher wurde ich zu Hause abgeholt. Nach ca. 6 Stunden Autofahrt erreichten wir Grindelwald. Von dort ging es mit dem Zug weiter zur kleinen Scheidegg. Dort mussten wir nochmals umsteigen in die Jungfraujochbahn. Bei schönstem Wetter zeigte sich beeindruckend die Eigernordwand. Die Wand, in der sich schon so viele Dramen abgespielt hatten. Peppi einer unserer Tourenleiter und Hauptorganisator hatte alles perfekt geplant. Schon in Grindelwald hatte er die Fahrkarten für 13 Personen bezahlt und abgeholt. Vier von unserer Reisegruppe waren schon einen Tag früher angereist und bereits auf das Jungfraujoch hinauf gefahren. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Menschen aller Nationen tummelten sich vor der imposanten Bergkulisse. Auf der kleinen Scheidegg war der Skibetrieb noch in vollem Gange. Hier trafen sich Reich und Schön (mehr oder weniger).

Die Jungfraujochbahn, eine Schmalspurzahnradbahn, fuhr bald in einen Tunnel direkt unter dem Eiger hinein. 2 mal blieb der Zug im Tunnel stehen und alle Leute konnten aussteigen um zu den Stollenlöchern zu gehen. Man befand sich dort direkt in der Eigernordwand und konnte die steile Wand hinabblicken. Am Jungfraujoch, dem „Top of Europe“ wuselten wieder eine Menge Leute herum. Es ist der höchstgelegenste Bahnhof von Europa. Wer es sich leisten kann fährt auf seiner Europareise auch einmal hier herauf. Der Preis hin und retour beträg 182,- Franken, was zur Zeit in etwa gleich viel Euro bedeutet.

Über den Sphinxstollen verließen wir die Bahnstation und traten ins Freie. Wider Erwarten war es draußen wärmer als im Stollen. Wir machten uns bereit zur Abfahrt über den Jungfraufirn. Wir hängten die LVS-Geräte um und schlüpften in die Klettergurte. Da der Gletscher um diese Zeit eher Spaltenarm ist, verzichteten wir allerdings auf’s anseilen. 7 km ging es flach hinunter bis zum Konkordiaplatz. Hier strömen die großen Gletscher des Gebietes zusammen. Der Platz ist ca. 6 qkm groß und hat eine Eisdicke von ca. 900 mtr. Der Konkordiaplatz ist der Ursprung des großen Aletschgletschers. Für uns hies es hier auf ca. 2800 m. auffellen. Wir mussten über das Grüneggfirn zur Grünhornlücke 3200 m. aufsteigen. Diese 3 km sind endlos lang. Immer wieder kam hinter einem Aufschwung, statt der Lücke, ein neuer Aufschwung. Dazu kam die Höhe und die fehlende Aklimatisation. Schließlich trafen wir noch auf einen unserer Kammeraden, der mit drei anderen schon einen Tag früher angereist war. Auch er musste der Höhe Tribut zollen und bezeichnetet sich nur noch als Schatten seiner selbst. In der Lücke endlich angekommen konnten wir die Felle wieder von unseren Skiern abziehen und die 200 HM zum Walliser Fischerfirn abfahren. Die Abfahrt gestaltete sich ebenfalls sehr mühsam. Auf dieser Seite gab es nämlich einen elendigen Bruchharsch, der alle Kraft kostete und so manchen von uns zu Fall brachte. Unten angekommen mussten wir wieder die Felle aufziehen um ein paar Höhenmeter bis zum Skidepot der Hütte aufzusteigen. Dieser Aufstieg raubte mir die letzten Kräfte und als ich die Stufen der Stahltreppe zur Hütte hinauf stieg musste ich vor Erschöpfung mehrmals würgen.

Jetzt sitze ich also hier auf der Hütte und habe mich schon wieder etwas erholt. So ein halber Liter Cola wirkt bei mir immer Wunder. Mein Lager habe ich schon bezogen und warte jetzt auf das Essen. Schließlich haben wir Halbpension (65,- ChF) gebucht. Die Wirtin bringt zunächst eine Gemüsesuppe. Danach gibt es Salat und anschließend bringt man uns die Hauptspeise. All das wird nacheinander gegessen, weil es nur einen Teller pro Person gibt. Die Nachspeise bringt man uns extra in einem kleinen Tellerchen. Jetzt ist Gruppenbesprechung für den nächsten Tag. Peppi verkündet, dass wir wegen des guten Wetters morgen sofort auf das Finsteraarhorn gehen werden. Frühstück gibt es um 6:00 h. An diesem Abend sind alle sehr müde und verschwinden nacheinander im Lager. So auch ich. An guten Schlaf ist aber nicht zu denken. Ich werde immer wieder wach. Es ist heiß im Lager, aber niemand wagt es, das Fenster aufzumachen.

Die Nacht ist endlich vorbei und ich sitze beim Frühstück. Es gibt Brot, Marmelade, Käse, Butter und das unvermeidliche Müsli. Der Kaffee wird aus einer Schüssel getrunken. Auf der Hütte herrscht absoluter Wassermangel. Es gibt kein Waschwasser im Waschraum und in der Toilette. Letztere ist eine interessante Vorrichtung. Eine Art Plumsklo, mit Förderband. Nach dem Geschäft tritt man 5x auf ein Pedal und die Hinterlassenschaft wird weiterbefördert. Nun hätte ich mir gerne die Hände gewaschen, aber das geht nicht. Es gibt eben kein Wasser. Stattdessen hängt an der Wand eine Druckvorrichtung für Desinfektionsmittel. Wenigstens ist die gefüllt. Ich bin noch früh dran und richte meine Sachen zum Abmarsch zusammen, damit ich nicht der Letzte bin.

Langsam gehe ich schon mal voran, hinunter zum Skidepot. Ich suche meine Harscheisen im Rucksack. Oh Gott, wo sind sie bloß. Entsetzt renne ich hinauf zur Hütte ins Lager. Schon bin ich wieder völlig ausser Atem. Hier sind sie auch nicht. Ich renne hinunter zum Skidepot. Ich öffne die Vordertasche meines Rucksacks und da sind sie. Alle stehen schon weiter oben, abmarschbereit. Ich bin wieder der Letzte! Kaum habe ich die Ski an den Füßen und will hoch gehen, setzt sich die Kolonne auch schon in Bewegung. Einzig Peppi, der an diesem Tag als Letzter eingeteilt ist, wartet auf mich. Da ich in der Aufstiegstechnik sehr geschickt bin (Spitzkehren), kann ich den letzten Teil der Mannschaft einholen. Schon hat sich die Gruppe auseinander gezogen. Die Starken vorne weg. Ich kann überholen und gehe alleine zwischen zwei Gruppen, was mir ganz gut tut, weil ich meinen Rhythmus finde. Am so genannten Frühstücksplatz müssen wir die Skier abschnallen, da es hier über Felsen geht. Auf der anderen Seite ist der Firn noch hart gefroren und ich passe auf, damit ich nicht ausrutsche. Bald kann ich die Ski wieder anziehen und steige nun ohne Probleme, aber langsam, hinauf zum Hugisattel. Der Hugisattel ist quasi der Skigipfel des Finsteraarhorns und liegt auf 4088 m. So hoch war ich noch nie auf einem Berg. Die 4000er Grenze ist geknackt.

Ich betrachte das Finsteraarhorn, dass steil in den Himmel ragt. Vor mir der lange und ausgesetzte Grat. Wolfgang und Thomas gehen gerade weg. Ich wäre gerne mit den beiden mitgegangen, aber da war ich schon zu spät. Die Guten waren alle schon weg. Keine Chance, dass mich jemand begleitet. Nur Peppi kommt noch hinten nach. Ich sehe, wie sich die anderen hinauf schinden und wie langsam es geht. An einigen Stellen habe ich das Gefühl, sie steigen über den Grat herüber, auf den Steilabbruch. In mir herrscht ein Widerstreit, gehe ich nun hinauf oder nicht. Wollen würde ich gerne, aber wohl ist mir auch nicht dabei. Inzwischen hat sich Peppi fertig gemacht und schickt sich an zu gehen. Der letzte Moment. Da fällt die Entscheidung. Drei andere Teilnehmer entschließen sich herunten zu bleiben. Das macht meinen Entschluß leichter. Ich bleibe auch da und erkläre den Hugisattel zu meinem höchsten (Ski-)Gipfel. Wir warten nun schon ziemlich lange. Das Wetter ist Gott sei Dank prächtig. Kein Wind und warm. Deshalb lässt es sich hier gut aushalten. Man kann sich an dem Bergpanorama richtig satt sehen. Drüben sehe ich sogar das Matterhorn. Mönch und Jugfrau stehen mit noch vielen weiteren Viertausendern Parade. Jetzt kommen die ersten herunter. Einigen von ihnen sieht man die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Ich glaube, meine Entscheidung war richtig, bin mir aber dennoch nicht ganz sicher. Ich richte mich mit einigen zur Abfahrt und wir fahren langsam voraus. Ohne Zwischenfälle kommen wir gut auf der Hütte an und ich bin heute weniger erschöpft als gestern.

Allerdings bin ich sehr durstig und hole mir in der Hütte eine Apfelschorle. Immerhin ein halber Liter, wenn auch  für 4,50 ChF. Einige sitzen schon auf der Terrasse und ich geselle mich dazu. Die Sonne scheint heiß herunter. Das Thermometer zeigt 23 Grad im Schatten (!) an. Mitten in den Gletschern auf über 3000 mtr. Da ich unterwegs nicht sehr viel esse, stellt sich bei mir langsam der Hunger ein. Ich bringe meine Sachen in Ordnung und bringe sie hinauf ins Lager, um sogleich wieder hinunter an unseren Tisch im Speisesaal zu gehen. Wieder die gleiche Essensprozedur wie gestern. Heute gibt es so eine Art Rouladen. Schmeckt ganz gut. Da es mittlerweile (Un-)sitte geworden ist, wenn jemand die Viertausender Marke überschritten hat, einen Wein auszugeben und wir zu Dritt sind, schließe ich mich lieber an, um dem Gefrotzel zu entgehen.

Heute ist das Fenster im Lager offen. Das tut gut. Trotzdem kann ich nicht einschlafen. Es ist halt nicht mein Bett. Ich werde wach, meine Nase ist verstopft und ich niese. Einmal, zweimal….. zigmal. Die Nase ist zu. Das Fenster ist auf. Es ist kalt, dafür stinkt es nicht so, aber das rieche ich ja nicht. Meine Nase ist zu. Endlich ist die Nacht vorbei. Draussen wird es hell und es verspricht wieder ein strahlend schöner Tag zu werden. Ich gehe hinunter zum Frühstück und fülle gleich meine Flasche mit Marschtee (kostet nix) auf. Von unseren Leuten ist noch keiner da. Also hole ich mal den Kaffee und die Milch und stelle alles auf unseren Tisch. Nach und nach kommen die anderen herunter. Ich blicke in verschlafene und verquollene, von der Sonne gerötete, Gesichter. Heute will ich nicht wieder als Letzter starten. Da ich schon früh beim Frühstück saß, bin ich auch vor den anderen fertig. Ich gehe ins Lager und richte meine Ausrüstung zusammen. Diesmal hab ich wirklich alles. Die Harscheisen habe ich gestern schon an den Skiern gelassen.

Langsam gehe ich hinunter zum Skidepot und ziehe dort meine Felle auf die Ski auf. Endlich bin ich mal so fertig geworden, dass ich mich einreihen kann und niemand auf mich warten muss. Wir gehen weg. Ich bin irgendwo in der Mitte. Plötzlich geht mein rechter Ski so schwer. Es hat mir das Fell von der Spitze herunter gezogen und unter den Ski gewurstelt. Ich trete aus der Reihe und klebe das Fell wieder an und hake es vorne wieder ein. Ich gehe ein paar Schritte und schon geht das Fell wieder ab. Ernst, der als Letzter geht, holt mich ein und gibt mir eine Zange. Damit biege ich den vorderen Haken so zurück, dass er halten muss. Gabriel muss auch noch was an seinem Ski richten, ist aber vor mir fertig und schließt wieder zur Gruppe auf. Auch Ernst geht weiter, während ich nochmal mein Fell prüfe und in den Ski steige. Das Fell hält. Ich bin wieder mal Letzter. Da sehe ich wie der Haken des Fells wieder aus der Verankerung rutscht. Ich kann ihn zurückschieben ohne die Ski auszuziehen. Kurz darauf passiert das Gleiche wieder. Jedesmal wenn ich über eine kleine, gefrorene Bodenwelle schiebe wird der Ski so geprellt und gefedert, dass der Haken herausrutscht. Immer wieder kann ich ihn zurück schieben. Das mache ich nun schon das sechste oder siebte mal so. Damit kann ich natürlich die Gruppe nicht einholen und der Abstand wird immer größer. Ich fluche und schimpfe, einerseits wegen des Fells, andererseits weil niemand auf mich wartet. Doch Ernst hat mich gehört und dreht um. Gemeinsam richten wir  das Fell. Wir biegen den Haken noch etwas, ich ziehe den Spannriemen am Ende noch etwas fester und zu guter Letzt kleben wir noch ein Tape vorne über die Spitze, so dass der Haken fixiert sein dürfte. Ich gehe mit Ernst weiter und Gott sei Dank, der Haken hält.

Jetzt kann ich Tempo machen und schließe bald auf. Kurz vor dem Eisbruch machen alle Pause um sich anzuseilen. Ich bin etwas desorientiert weil ich nicht weiß, was schon ausgemacht wurde und wo ich mich einbinden kann. Bei den Starken will ich nicht, weil mir das zu schnell wird und ich da nicht mithalten kann. Eigentlich wäre ich gerne in der letzten Gruppe gegangen, weil sich dort eher mein Leistungsniveau befindet. Doch die wurde gestern von Ernst schon anders eingeteilt, was einige Teilnehmer und auch mich überraschte. Nachdem das die einzige Seilschaft war, die vorab zusammengestellt wurde und diese für mich jetzt nicht mehr in Frage kommt, stehe ich entsprechend ratlos herum und suche eine passenden Seilschaft. Schließlich sagt Hans: „Sepp du kannst auch mit mir und Helmut gehen. Wir machen auch eine Seilschaft und haben nicht vor so schnell zu gehen.“ Da ich mit Hans schon öfter unterwegs war und ihm auch in schwierigen Situationen vertraue, binde ich mich hier gerne ein. Wir gehen als mittlere von fünf Seilschaften und sind dabei gar nicht so langsam. Ich darf als erster bei uns gehen und das Tempo machen. Es passt ganz gut zusammen. Wir gehen durch einen wunderschönen Eisbruch mit haushohen Türmen. Altes Eis schimmert in mysthischem Blau in der Sonne. Langsam merke ich die Höhe und dass ich doch etwas flott gegangen bin. Den Eisbruch haben wir hinter uns gelassen und befinden uns auf einer kleinen Hochfläche. Ein guter Platz für eine etwas längere Pause. Die Seilschaft hinter uns schließt auf und geht vorbei. Macht nix. So viel schneller sind die auch nicht.

Die beiden Fiescherhörner kommen in Sicht. Das Grosse sieht schon wieder so felsig, abweisend und schwierig aus wie gestern das Finsteraarhorn. Macht aber nichts, ich will sowieso nur auf das Kleine, weil hier ein Firngrat ist und der auch mit Skiern geht. Auch das hat über Viertausend. Gestern hatten wir ausgemacht, dass einige auf beide Gipfel steigen wollen. Ich dachte, dass wir zuerst auf das Kleine Fiescherhorn gehen und dann können die anderen auf das Große gehen. Allerdings sehe ich jetzt, dass alle sofort rüber zum Großen gegangen sind. Also schlagen wir auch diese Richtung ein. Die Guten sind schon wieder weg und der Grat sieht wirklich schwierig aus. Fels – Firn kombiniert, das mag ich nicht so gerne. Die Seilschaft, die uns überholt hat, ist noch da. Hans und Helmut bieten mir an, mich in die Mitte zu nehmen und bei mir zu bleiben. Das Angebot nehme ich gerne und dankbar an. Zusätzlich gehen auch noch einige aus der anderen Seilschaft nach uns und die letzte Seilschaft kommt ja auch noch nach. Außerdem ist der Grat nicht so lang wie auf dem Finsteraarhorn. Immerhin aber genauso schwierig. WS+ und II UIAA steht immerhin in den Führern. Vor allem in dieser Höhe.  Also gehen wir mit den Steigeisen an den Füßen und dem Pickel in der Hand hinauf. Einige Stellen sind schon ausgesetzt und knifflig, aber wenn ich einmal drin bin, geht es mir auch ganz gut. Von der Technik her habe ich kein Problem, nur habe ich manchmal einen zu großen Respekt vor den exponierten Stellen. Wir haben die Hälfte der Strecke geschafft und schon kommen mir die ersten von uns entgegen. Ich muss sowieso stehen bleiben, weil mir die Luft weg bleibt. Ich keuche ganz schön und Hans wartet immer wieder auf mich. So haben wir jetzt den Gipfel erreicht. Ein kurzer Rundblick, ein, zwei Fotos, und schon steigen wir wieder ab, damit die Nachfolgenden am Gipfel Platz haben. So groß ist der nämlich tatsächlich nicht.

Konzentriert steige ich ab. Wieder in der Mitte meiner zwei Begleiter. Ist ja nur für den Fall….. Endlich stehen wir wieder in der Scharte und tauschen unsere Steigeisen mit unseren Skiern. Wir machen uns zur Abfahrt fertig. Ernst gibt uns noch einige Anweisungen wegen des Spaltenbruchs weiter unten. Dort haben wir im Aufstieg eine Stelle mit Eisschlag gequert und dort wollen wir vorsichtig und einzeln fahren. Der Schnee ist nicht gerade das Beste, das ich heuer unter den Skiern gehabt habe. Mal geht es ganz gut, mal ist es eisig und mal habe ich Bruchharsch. Immer in schönem Wechsel. Jetzt haben wir die Stelle mit dem Eisabbruch erreicht. Ernst fährt als erster hinein und kommt unten wieder gut heraus. Die Stelle sieht von oben auch extrem steil aus und Platz hat man auch nicht viel. Ernst winkt und als nächster fährt Helmut. Das sieht schon ganz anders aus. Er kämpft mehr als dass er fährt und manchmal werden seine Ski schneller als er es will. Er ist fast unten, da sagen die anderen hinter mir, dass ich schon Abfahren kann. Oh, das ist wirklich unangenehmes Gelände. Sehr hart und rau. An einer Stelle sind die Eisbrocken, die von oben herbgefallen sind, festgefroren. Ich fühle mich wie in einem Rüttelsieb als ich da durchfahre. Helmut steht unten immer noch im Auslauf und als ich näher komme schreit er herauf: “ I hob mir den Ski obbrocha“. Auweia denke ich und fahr sofort zu ihm hin. Der Ski ist tatsächlich quer vor der Bindung gebrochen, hängt aber noch. Nur das Oberholz ist ab und der Kern ist angebrochen. Der Belag hält aber noch zusammen. Irgendwo in meinem Rucksack finde ich tatsächlich noch eine Rolle Tape. Helmut wickelt es von Skispitze aus über die Bindung und wieder zurück. Da fällt mir ein, dass ich noch eine lange, dünne Reepschnur dabei habe. Die wickeln wir unter die Bindung und führen sie bei der Skispitze so durch das dortige Loch, dass wir eine gute Spannung bekommen und der Ski nach oben aufgebogen wird. Das sieht ganz gut aus und wenn wir Glück haben, kann Helmut so fahren. Inzwischen ist auch Hans da und trägt den kaputten Ski weiter nach unten in flacheres Gelände. Ich fahre inzwischen zu Ernst hinüber. Wir sehen, dass Helmut und Hans auf den Skiern stehen und vorsichtig anfahren. Es sieht gut aus und Helmut nimmt Fahrt auf. Wir alle hinterher. Gut dass der Gletscher hier flach ausläuft. So kommen wir gut bis unter die Hütte. Jetzt müssen wir für 50 HM zum Skidepot wieder auffellen. Eine gute Gelegenheit zu testen, wie das der Ski von Helmut aushält. Es ist gut gegangen. Wir sind gut heraufgekommen. Eine wichtige Erkenntnis für Morgen.

Heute ist es nicht so angenehm auf der Terrasse. Es ist bei weitem nicht mehr so warm und zusätzlich noch windig. Also bringe ich meine Sachen hinauf ins Lager und ordne dort wieder alles. Ausserdem fange ich an, alles was ich nicht brauche, wieder in den Rucksack zu verpacken. Der Plan ist nämlich, dass wir morgen zur Konkordiahütte übersetzen und am Sonntag von dort zum Jungfraujoch aufsteigen. Evtl. wollen wir dort noch den Mönch oder die Jungfrau mitnehmen. Das Wetter scheint aber schlechter zu werden und ich bin schon ziemlich fertig. Ich weiß nicht, ob ich es noch schaffe, auf den Mönch zu kommen. Mal sehen wie es mir nach dem morgigen Ruhetag geht.

Ich gehe hinunter in den Speisesaal und hole mir etwas zum Trinken. 1 Ltr. Teewasser kostet 4,- ChF und der Teebeutel ist da auch noch dabei. Das nehm ich diesesmal auch. Heute gibt es eine gute Tomatensuppe, die mag ich. Anschließend kommt der Salat und gleich dazu noch eine Schüssel mit braunem Reis. Pilzrisotto, das mag ich weniger. Mittlerweile zieht es draussen zu. Nebel fällt herein. Es kommt eine Diskussion auf, ob man morgen nicht gleich bis zum Jungfraujoch aufsteigt und einen Tag früher heimfährt. Für mich kein unangenehmer Gedanke, da ich doch daran zweifle, noch die Kondition zu haben, um auf den Mönch zu steigen. Ausserdem hab ich meinen Viertausender. Diese großen Hochtouren gehen mir doch schon zu sehr an die Substanz. Auch Wolfgang scheint dieser Idee nicht ganz abgeneigt zu sein. Geht es ihm nicht unähnlich. Peppi und Ernst holen nähere Wetterinformationen ein. Es wird heute Nacht schneien und morgen am Tag wird auch noch mal was herunterkommen. Am Sonntag soll es dann wieder etwas besser werden. Naja, keine tollen Aussichten. Peppi ist allerdings davon überzeugt, dass es am Sonntag schön wird und er sagt: „Da Mönch geht ollawei“. Jetzt sind viele hin- und hergerissen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass sich das die Fahrgemeinschaften unter einander ausmachen, ob sie bleiben oder abreisen wollen. Thomas, Wolfgang und ich sind auch nicht schlüssig. Jeder hat nichts dagegen heimzufahren, weil es auch Vorteile hat, andererseits überlegt jeder, ob nach der Ruhephase nicht doch noch der Mönch möglich wäre. Wir können es nicht gleich entscheiden, sondern geben uns Zeit bis morgen auf dem Konkordiaplatz. Es reicht, wenn wir uns dort entscheiden.

Heute ist das Fenster im Lager nur gekippt. Also auch hier gibt es die Entscheidung zwischen erfrieren und erstinken. Nein, eigentlich mag ich es ganz gerne, wenn das Fenster offen ist und ich frische Luft habe. Allerdings hat meine Nase schon wieder zu gemacht und ich wälze mich von einer Seite auf die andere. Ich muß auch immer darüber nachdenken, wie ich mich morgen entscheiden werde. Ah, ist das schwierig.

Ich habe das Gefühl, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben. Durch das Fenster im Lager sieht man nichts. Ich stehe auf und sehe genauer hinaus. Alles voll Nebel und ja, es hat geschneit. Es schneit immer noch dicke Flocken. Heute wollen wir erst um 7:00 h frühstücken. Jetzt ist es 6:30 h. Ich bin viel zu früh dran, gehe aber trotzdem hinunter. Ich hole wieder den Kaffee und decke auf. Nach und nach kommen auch die anderen. Keiner nimmt die Diskussion von gestern wieder auf. Ich bin mit dem Frühstück fast fertig, da kommt Thomas bei mir vorbei und meint, dass sich das Thema angesichts des Schneefalls erledigt hätte. Er hätte noch vage mit der Option gespielt die Jungfrau zu besteigen. Das ist jetzt scheinbar für ihn auch nicht mehr erreichbar und so können wir die Abreise in ernste Erwägung ziehen. Wir holen Wolfgang herüber und auch er zweifelt stark daran, den Mönch zu erreichen. Somit entschließen wir uns, heute durchzugehen und abzureisen. Sabine wäre noch gerne mitgekommen, hat aber keinen Schlüssel für den Bus, in dem ihre Sachen sind. Vor allem ist dort auch ihr Autoschlüssel deponiert. Das geht also nicht. Allerdings ist es Jupp, der Probleme mit seinen Beinen hat, auch recht, vorher schon abzureisen. Er will sich uns anschließen und das ist möglich, weil er von seiner Fahrgemeinschaft einen Zweitschlüssel für das Auto bekommt, in dem seine Sachen sind.

Diesesmal bin ich so rechtzeitig dran, dass ich wirklich frühzeitig fertig bin und mich ziemlich weit vorne einreihen kann. Thomas hat ein Zeitfenster für den Abmarsch am Konkordiaplatz gesetzt. Er will dort um 12:00 h weiterkommen. Doch der Aufstieg zur Grünhornlücke ging gut voran und jetzt folgt nur noch die Abfahrt zum Konkordiaplatz. 10:00 h: Wir sind am Konkordiaplatz und gehen Richtung Jungfraujoch. Vor uns liegen endlose 7 km flacher Anstieg, der zum Schluß immer steiler wird. Mit dem Wetter haben wir soweit Glück, dass wir zwischendurch immer wieder freie Sicht haben und uns gut orientieren können. Wir gehen jetzt schon fast 2 Stunden und der Eisbruch rechts, der vom Ewigschneefäld herunter kommt, ist immer noch an der selben Stelle. Nur das Jungfraujoch scheint näher zu kommen. Wir können das Observatorium erkennen. Es sieht gar nicht mehr so weit aus, aber hier ist alles anders. Viel größer und weiter als wir es von den Ostalpen gewohnt sind. Jeder Steilaufschwung ist endlos lang und wenn man meint man wäre danach oben, so erkennt man den nächsten Aufschwung. Dieses Spiel geht immer so weiter. Die vermeintliche Nähe treibt einen an, jedoch scheint der Weg nicht enden zu wollen. Das macht mürbe. Zusätzlich ist das Wetter wieder schlechter geworden. Es graupelt und schneit stark und der Wind bläst schneidend kalt. Ich denke, wir haben uns richtig entschieden. Immer näher kommt die Station. Wenn wir doch schon oben wären. Ich muss immer öfter stehen bleiben. Ich erlebe wieder einmal einen regelrechten Leistungseinbruch. Ich rätsle schon lange, warum mir das immer mal passiert. Aussreichend getrunken habe ich und tue das gerade wieder. Wolfgang, der bei mir ist, unterhält sich mit mir darüber und wir mutmaßen, dass es veilleicht am Essen liegt. Allerdings bekomme ich nichts hinunter wenn ich so ausgepowert bin. Brot fühlt sich an wie Sperrholz. Allerdings stimmt es, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen habe. Vielleicht sollte ich in Zukunft doch immer eine Kleinigkeit nebenbei essen. Thomas spurt unaufhaltsam vorneweg. Er legt eine angenehme Spur und endlich schaut oben Jupp über den Wegrand herüber. Er sagt uns, wo es am besten geht, weil das letzte Stück durch die Pistenraupe noch unangenehm eisig gemacht wurde.

Endlich bin ich oben. Der Wind pfeift und wir sehen zu, dass wir in das Stollenloch hineinkommen. Wir suchen den Bahnsteig und verlaufen uns glatt. Doch eine freundliche Dame von der Jungfraujochbahn zeigt uns den richtigen Weg. Noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt. Wir richten noch unsere Sachen zusammen und schon kommt auch der Zug. Die nette Dame von vorhin wartet schon auf uns und weist uns einen Platz extra für unsere Ski und unser Gepäck an. Jetzt geht es ab nach Hause. Da komme ich ja noch recht zu unserem 30. Hochzeitstag!

Nachtrag: Wie ich erfahren habe ist es am Sonntag doch noch schön geworden und der Mönch ist vom Rest der Gruppe bestiegen worden. Vielleicht…….

Allerdings hat mich seit Montag eine feste Grippe eingeholt, die mich mit Fieber ins Bett zwang. Vielleicht…….


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Kommentare

3 Antworten zu „Im Reich der Viertausender“

  1. Servus Sepp klasse Bericht. Ist sehr interessant zu lesen. Da bekommt man so richtig Lust auf die Schweizer Viertausender. Und Respekt das du dich da hochgekämpft hast.
    Im nächsten Jahr bin ich auch dabei 🙂

  2. Caro

    Hallo Sepp!
    Schöner Bericht – so persönlich und so ehrlich.
    Hoffe Ihr hattet einen schönen Hochzeitstag!
    Denn der Mönch hupft ned weg, aber so ein Jubiläum kommt nicht wieder!
    Werd schnell wieder ganz gesund und hoffentlich schaffst Du’s zur Nachbesprechung. Dat mi gfrein!
    Mit liebem Gruß
    von der Caro

  3. Till

    Gute Besserung, Sepp!
    Hoffe du bist bald wieder auf den Beinen.
    VG Till